1977: Die Synchronizität von Winchester und Stonehenge, Merlin und der Gral

 © copyright 2011 by Remo F. Roth, Zürich

Im Juli 1977 besuchte ich meine damalige Freundin Alison in England. Um an der Universität Zürich aufgenommen zu werden, musste sie noch ein Jahr Highschool nachholen. Sie war Australierin englischer Abstammung, doch kannte sie England relativ wenig. Daher beschlossen wir gleich nach meiner Ankunft am Flughafen mit dem Auto nach Süden zu reisen, um den megalithischen Steinkreis von Stonehenge zu besuchen. Nach einer Weile sahen wir, dass es zu spät wurde und beschlossen unterwegs zu übernachten. Alison fuhr das Auto und da ich noch ortsunkundiger war als sie, überliess ich ihr die Suche. Wir erreichten Winchester, und fanden dort ein Hotel. Wir erfuhren, dass gleich gegenüber der Tisch König Arthurs ausgestellt war. Wir besuchten also gleich am anderen Tag die Ausstellung. Der Tisch faszinierte mich sehr, und ich besitze heute noch eine Photo davon (s. Abbildung).

Stonehenge mit dem Hale-Bopp-Kometen 1997

Ich fasse dieses zufällige Ereignis als einen sinnvollen Zufall, als Synchronizität auf, da gemäss Robert de Boron sowohl der runde Tisch der Tafelrunde der Gralsritter als auch Stonehenge (siehe Abbildung oben) auf den Rat Merlins, des keltischen Druiden und Schamanen hin erstellt worden war. Sie wollte mir damals zeigen, dass Merlin in meinem Leben äusserst zentral werden wird.

Merlin, den Wolfgang Pauli mit dem mysteriösen fremden Magier seiner Träume und Visionen verglichen hatte[1], wird als Kind einer Jungfrau geboren, die vom Teufel zum sexuellen Akt gezwungen wurde. Das vaterlose Kind sollte als Bauopfer für die Burg des britischen Königs Vortigern hingerichtet werden, doch rettete Merlin sich mit einer Prophezeiung. Unter dem Boden, auf dem die Burg gebaut werden sollte, finde ein Kampf zwischen einem roten und einem weissen Drachen statt, weshalb die Burg nicht gebaut werden könne.

Das Motiv der Farben Rot und Weiss tauchte schon einige Jahre bevor ich von Merlin erfuhr in meinem Mandala auf (siehe Abbildung). Ich wählte damals, im März 1974, das Zinnoberrot, ohne zu wissen, dass dieses dem alchemistischen Mercurius zugeordnet wird[2]. Dieser wird als Hermaphrodit, also doppelgeschlechtlich beschrieben, und er vereinigt in sich eben diese beiden Farben Weiss und Rot. Infolge der mit ihm verbundenen Bipolarität der Farben Rot und Weiss, die auch dem yang/yin-Paar des Daoismus zugeordnet wird, gilt Merlin in der Alchemie auch als eine Parallele zu Mercurius.

Wir fuhren dann zum Steinkreis von Stonehenge, in dem man damals noch ungehindert umhergehen konnte. Ich war tief beeindruckt und muss innerlich sehr erregt gewesen sein. Wir setzten uns an den Rand des Steinkreises und dort geschah mir etwas Unglaubliches: Ich sah und spürte plötzlich, wie dieser unendlich schwere Steinkreis sich oszillativ auf und ab zu bewegen begann. Zugleich wurde mir die Gewissheit eingegeben, dass es sich bei Stonehenge um die Krone des Königs der Erde handelt. Man sah von diesem riesigen Gottmenschen also nur die Krone, der Rest war in der Erde darunter verborgen. Dieses Erlebnis ist mir tief ins Gedächnis eingegraben, und ich spüre die oszillative Erschütterung dieses Anthropos der Erde noch heute jedes Mal, wenn ich an unseren Besuch von Stonehenge zurückdenke.

Dem Motiv der Oszillation bin ich dann später im Zusammenhang mit der Rotation – in der Alchemie die rotatio des rotundums – in den Träumen des Physikers und Nobelpreisträgers Wolfgang Pauli wieder begegnet. Ich deute sie heute in Analogie zur Wellenfunktion (Oszillation!) der Quantenphysik als potentiellen konstellierten Schöpfungsakt im unus mundus, der durch die Beobachtung in der körperzentrierten Imagination – symbolisch: in der Rotation – realisiert wird. Das Motiv des Erdkönigs entspricht auch der von der Materie umgebenen Weltseele, hier allerdings nicht jener des Platonismus und Neuplatonismus, die hinter der kausalen Weltanschauung steht, sondern dem Pneuma der Stoa, der Hermetik und der Renaissance[3], das in einem akausalen Selbstzeugungsakt – dem von mir so genannten singulären psychophysischen Quantensprung – neue Schöpfung in der psychischen und physischen Welt erzeugt. Die bewusste Beobachtung desselben entspricht seinerseits dem Auffinden des Grals (s. dazu unten).

Da Merlin vom Teufel gezeugt und von einer Jungfrau geboren wurde, bedeutet er einen ersten Versuch des christlichen Mittelalters Gut und Böse im Gottesbild beziehungsweise im Gottmenschen zu vereinigen. Mit der Zeit musste ich erkennen, dass auch ich in diese archetypische Situation hineingeboren worden war. Mir war schon bei Jung aufgefallen, dass er sich intensiv mit diesem Problem herumschlug. Dessen vermeintliche Lösung gipfelte im Versuch, in sein Gottesbild neben der Trinität eine Dualität von Jungfrau Maria und christlichem Teufel einzufügen[4], womit das weibliche Prinzip verteufelt wird. Es sollte mein Schicksal sein, diese Minderbewertung des weiblichen Prinzips in Jungs Theorie aufzuheben. Dies gelang mir dann anfangs 2011 in meinem Fragment Die Magie der Weltseele (unpubliziert), wo ich zeige, dass mit dem Einbezug des von mir so genannten singulären psychophysischen Quantensprungs in der Körperzentrierten Imagination das akausale Prinzip bewusst erfahren und so das Böse[5] depotenziert wird, weil es in einer zutiefst introvertierten Prozedur mit einbezogen wird.

Die Entdeckung des „inneren Quantensprungs“ in der von mir vorgeschlagenen Methode der Symptom-Symbol-Transformation (SST) oder Körperzentrierten Imagination (KZT) – sie ist komplementär zur Beobachtung des singulären Quantensprungs im Messakt der Quantenphysik, denn sie findet im Gegensatz zu diesem in Raum und Zeit zufällig statt – bringt das Schicksal Merlins auf eine erkenntnistheoretisch höhere Stufe: Der Teufel wird durch den singulären Quantensprung ersetzt, und dieser führt tatsächlich zu einer Schwängerung der Jungfrau! Im (akausalen) inneren singulären Quantensprung wird nämlich eine neue physische und/oder psychische Realität geschaffen, die einer Energie höherer Ordnung oder höherer Negentropie gehorcht. Eine Inkarnation ohne kausales Machen, eine Schöpfung durch (reines) Beobachten hat stattgefunden. Meines Erachtens werden so die SST und KZT zu jenem “dritten Typus von Naturgesetzen”[6] (neben den kausalen der klassischen und den akausalen Gesetzen der Quantenphysik), die Wolfgang Pauli gesucht aber noch nicht gefunden hatte.

Da ich im Jahr 1977 über die Merlin-Synchronizität in Winchester und Stonehenge auch an das Problem der Gralssuche herangekommen war, möchte ich hier noch erwähnen, dass ich heute weiss, dass die angedeutete Beobachtung des singulären psychophysischen Quantensprungs in der Körperzentrierten Imagination auch die Lösung dieses Problems darstellt. Der Inhalt des modernen Grals besteht in den oben erwähnten akausalen singulären Schöpfungsakten, die aus dem unus mundus (Dorneus/Jung) oder aus der psychophysischen Realität (W. Pauli), dem Reich der hermetischen Weltseele (Pneuma), heraus geschehen und in deren Beobachtung durch das von mir so genannte Eros-Bewusstsein, das Bewusstsein des „abaissement du niveau mental“. In der symbolischen Sprache der Gralslegende ist es der „thumbe Parzival“ der eben infolge seiner „Dummheit“ und Unwissenheit – den Verzicht auf intellektuelle Schlüsse und deren Ersetzung durch die reine Beobachtung der Quantensprünge in der psychophysischen Realität – den Gral findet. Diese höherenergetische Ordnung des Grals wird einerseits in (spontanen) Erkennen des Sinnes der Synchronizität – höhere geistig/psychische Ordnung – andererseits im heilenden Prozess der SST und KZI (höhere physische Ordnung) erreicht.

Am Schluss der Merlinsage[7], die einen wesentlichen Teil der Gralslegende bildet, verschwindet Merlin in der Liebesvereinigung mit Niniane. Dabei wird er auch wieder, was er von Anfang an war, ein „Geist im Stein“. An diesem Stein treffen sich von Zeit zu Zeit gewisse Helden, die zu grossen Abenteuern aufbrechen. Dieses Steingrab ist zugleich auch ein Gefäss der Unio mystica mit der Gottheit.

Diesen „Geist im Stein“ wiederentdeckt zu haben, ist einer der wesentlichsten Aspekte meines bisherigen Lebens. Ich erkannte mit der Zeit, dass es sich dabei um das Pneuma der Stoa handelt, das ein kompensierendes Gegenprinzip zur platonischen Weltseele darstellt. Letzteres Prinzip funktioniert kausal, ersteres jedoch akausal. In der von Wolfgang Pauli geforderten „neutralen Sprache“ nenne ich dieses erstere energetische Prinzip die Materie-Psyche, die magische Energie des unus mundus und unterscheide es so von der Geist-Psyche, der physikalisch/physischen Energie (äussere Geist-Psyche) einerseits, der objektivpsychischen Energie C.G. Jungs (innere Geist-Psyche) andererseits. Es ist dieses akausale Prinzip, der „Geist im Stein“, dessen Energetik in der SST und KZI beobachtet werden kann.

In meinen Büchern Return of the World Soul – Wolfgang Pauli, C.G. Jung, and the Challenge of Psychophysical Reality, Part I (2011) und Part II (2012) habe ich die Resultate meiner diesbezüglichen Forschungen dargestellt.


[1] Wissenschaftlicher Briefwechsel, Band 4/I, 1996, p. 292; Brief [1227] and M.-L. von Franz
[2] GW 9/I, § 537. In der Originalpublikation in Jungs Buch Gestaltungen des Unbewussten, Rascher, Zürich, 1950 findet sich der entsprechende Abschnitt in p. 108f. Da ich von der Übereinstimmung der roten Farbe des Mandalas mit dem Zinnober des Mercurius (und des Ouroboros) derart beeindruckt war, habe ich in meiner Ausgabe des Buche eine Probe des Farbstiftes eingefügt, mit dem ich das Mandala gemalt hatte.
[3] Die Renaissance und die Hermetik ersetzten die platonische und neuplatonische Weltseele, die den beseelten Geist betont, durch die Weltseele der Stoa, das Pneuma. Es bedeutet ein von einem „ersten Beweger“ unabhängiges Zeugungs- und Schöpfungsprinzip, eben die (akausale) Selbstzeugungsfähigkeit des materiellen Prinzips. In einer neutralen Sprache nenne ich ersteres Prinzip die Geist-Seele oder Geist-Psyche, letzteres die Materie-Seele oder Materie-Psyche. Dieser Gegensatzspannung zwischen neuplatonischer, kausaler Weltseele und akausalem Pneuma der Stoa bildet einen wesentlichen Inhalt meines Buches Return of the World Soul, Part 1.
[4] GW 11, § 107; das Vierte des quaternären Gottesbildes wird dort von Jung einerseits als „die Erde und die Frau“, andererseits als „das Böse“ bezeichnet. In GW 11, § 743f. ist das Vierte eindeutig die Jungfrau Maria, in GW 11, § 258 aber der “Diabolus”. Diese widersprechenden Definitionen der Quaternität durch C.G. Jung zeigen, dass seine Quaternität des Selbst noch nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann.
[5] Wolfgang Pauli war der Ansicht, dass in der Geistesgesichte der christlichen Menschheit das Böse dem Akausalen gleichgesetzt wurde. Siehe dazu Return of the World Soul, Part I, p. 53.
[6]  WB 4/II, S. 336; s. a. S. 310-311, 336 und S. 387-389
[7]Das Folgende zitiert nach Marie-Louise von Franz, C.G. Jung – Sein Mythos in unserer Zeit, p. 358f.

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