Die Neue Mystik und das Leben nach dem Tod

Vortrag, vom 6. 6. 1997 am C.G. Jung Institut, Stuttgart

Inhalt:

1. Was ist Mystik?
2. Der Konflikt der Mystiker mit den Klerikern
3. Die Mystik der Weltreligionen
4. Identitätsmystik und Beziehungsmystik
5. Das kollektive Unbewusste C.G. Jungs und die Neue Mystik
6. Ein Beispiel: Die Mystik des Niklaus von Flüe
7. Die Mystik der Alchemie
8. Der alchemistische Mythos der Gotteswandlung
9. Die Befreiung der Weltseele
10. Der Aufbau des Hauchkörpers (subtle body) für das Leben nach dem Tod

 


 

1. Was ist Mystik?

Wie der Titel meines Vortrages sagt, beschäftigen wir uns heute mit der Mystik einerseits, genauer gesagt mit einer neuen Art von Mystik, andererseits mit Vorstellungen über das Leben nach dem Tod.

Im ersten Teil werde ich Ihnen eine Einführung in die Neue Mystik geben. In einem zweiten Teil beschäftigen wir uns dann mit der Thematik eines Weiterlebens des Körpers nach dem Tod. Dabei will ich Ihnen jetzt schon verraten, dass diese beiden Themen eng zusammenhängen. Dies ist auch der Grund, warum ich Ihnen diese gemeinsam vorlegen werde.

Wenn ich Ihnen von Neuer Mystik erzähle, muss ich als erstes erklären, was Mystik an sich ist. Etymologisch betrachtet kommt das Wort Mystik vom griechischen myein = „die Augen schliessen“. Mystik bedeutet somit in erster Linie einen seelischen Zustand, in welchem man sich von der äusseren Welt zurückzieht und sich in einer introvertierten Art nach innen wendet, indem man Augen, Ohren und Mund schliesst.

Mystik bezieht sich zudem immer auf etwas Göttliches. Zusammen mit der obigen etymologischen Ableitung ergibt sich also, dass Mystik eine Beschäftigung mit Gott oder mit dem Göttlichen in sich selbst darstellt. Mystik beschäftigt sich also immer und ausnahmslos mit etwas, das von innen herauskommt; die Bewegungsrichtung ist somit vom Innen zum Aussen.

Sehr schön ist dieser Sachverhalt in einer Vision des Schweizer Mystikers Niklaus von Flüe dargestellt

 In dieser sieht Niklaus das Antlitz Gottes, dessen Augen, Ohren und Mund durch drei Speerspitzen durchstochen werden. Wenn man sich dies ganz konkret vorstellt, kommt man zum Schluss, dass ein derart gemarterter Mensch nichts mehr sieht, nichts mehr hört und nicht mehr sprechen kann. Er ist somit gezwungen, Mystiker zu werden, d.h. sich seiner eigenen Innenwelt zuzuwenden. Folgt er diesem Prozess, wird etwas von innen nach aussen gehen – in Niklausens Vision die drei Spitzen, welche vom Kopf nach aussen weisen, somit von innen nach aussen.

Mit dieser Symbolik ist der Prozess des Mystikers sehr schön beschrieben: Er wendet sich nach innen, indem er Mund, Augen und Ohren schliesst, worauf er erlebt, dass etwas aus seinem Inneren nach aussen fliesst. Dieser Fluss entspricht den im mystischen Prozess geschauten Visionen.

Interessant am ganzen ist, dass es eigentlich Gott ist, der als Meditierender dargestellt wird, denn ihm werden ja Mund, Augen und Ohren durchstochen. Dies heisst speziell, dass die Fähigkeit zur Meditation einem göttlichen Zentrum im Menschen entspringt. Niklaus wurde somit in diesen innergöttlichen Prozess hineingezogen, so dass ihm letztlich nichts anderes übrig blieb, als selbst Mystiker zu werden.

2. Der Konflikt der Mystiker mit den Klerikern

Hier zeigt sich nun sofort ein ernstes Problem der Mystiker aller Religionen. Da sie sich auf ein Gottesbild beziehen, welches aus ihrem Inneren herauswirkt, kann sich dieses vom dogmatisierten unterscheiden. So beschreibt beispielsweise der christliche Mystiker Cusanus (Niklaus von Kues) Gott als eine „coincidentia oppositorum“, d.h. als das Zusammenfallen aller Gegensätzen in einem. Ein notwendiger Schluss daraus besteht darin, dass Gott somit Gut und Böse in sich vereinigt. Dies widerspricht dem christlichen Gottesbild, dem Gott der Liebe, der nichts Böses in sich trägt.

Damit entstehen natürlich Konflikte zwischen den Mystikern und den dogmatischen Klerikern, welche die Verkündigung und Vermittlung des dogmatisch festgelegten Gottesbildes als ihren Beruf ansehen. Dieser Konflikt ist heute wieder sehr modern. Wir wissen seit einigen Jahrzehnten, dass es neben den vier kanonisierten Evangelien noch viele weitere gibt, die gnostischen Evangelien, welche im Jahr 1945 in Nag Hammadi in Aegypten gefunden wurden (Lit.: Pagels, Elaine: Versuchung durch Erkenntnis – Die gnostischen Evangelien, Insel Verlag, Frankfurt a.M., 1981). In diesen von einer urchristlichen Mystik geprägten Evangelien wird Jesus Christus teilweise ganz anders dargestellt als in den vier offiziellen Evangelien. Doch obwohl diese gnostischen Evangelien seit zwanzig Jahren publiziert sind, werden sie von den christlichen Theologen nicht zur Kenntnis genommen. Die Dogmatiker der Kirche wollen nichts mit diesen mystisch geprägten Evangelien der Gnostiker zu tun haben.

Der Mystiker erfährt durch seine Sicht nach innen das Göttliche. Er hat damit eine sehr individuelle Gotteserfahrung gemacht, er hat Gott auf seine eigene Art und Weise erlebt. Es ist diese Erfahrung des Göttlichen die ihm Wurzeln gibt, die seinem Leben neuen Sinn verleiht. Der Kleriker kennt diese Erfahrung nicht, er muss diese daher durch einen Glauben an den Inhalt der heiligen Schriften ersetzen, den er des öfteren mit fanatischem Eifer verteidigt. Bildlich gesprochen schliesst er die Augen nicht, sondern er muss sie ja öffnen, um den Inhalt dieser heiligen Schriften lesen zu können. Er beschäftigt sich somit mit dem Aussen.

3. Die Mystik der Weltreligionen

Mystiker gibt es in allen Religionen der Welt. Sie bilden den introvertierten Gegenpol zu den Klerikern, welche sich mit der Interpretation der heiligen Schriften beschäftigen. Die christliche Mystik beginnt im 11. Jahrhundert mit Bernhard von Clairvaux. Christliche Mystik wird in den Jahrhunderten nach Bernhard von Clairvaux eine eminent deutsche Angelegenheit. Sie kulminiert und degeneriert schliesslich in der Herz-Jesu-Mystik.

Die wichtigste, von der offiziellen Kirche aber totgeschwiegene christliche Mystik ist die Alchemie, auf die wir später zurückkommen werden. An dieser Stelle mag der Hinweis genügen, dass die Alchemisten, so beispielsweise auch Paracelsus, den in ihrem Inneren verborgenen Gott, den „deus absconditus“ suchten. Dies ist auch der tiefere Grund, warum C.G. Jung sich so intensiv mit der Alchemie beschäftigt hat (Lit.: Jung, C.G.: Psychologie und Alchemie, Ges. Werke, Bd. 12, Walter Verlag, Olten, 1972).

Die Mystik der Juden ist in den Schriften der Kabbalah niedergelegt (Lit.: Scholem, Gershom: Die jüdische Mystik, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 1980). Das Göttliche wird dort als ein abstrakter Baum dargestellt, der berühmte Sefiroth-Baum. Zudem gehört zur jüdischen Mystik eine hochdifferenzierte Zahlenmystik. Die Zahl wird darin zum Träger göttlicher Eigenschaften. Sie wird nicht nur zum Zählen und Zahlen verwendet, sondern jede Zahl bekommt eine bestimmte Qualität. Die Zahl Neun symbolisiert beispielsweise die transzendente Welt und damit die Mystik, da sie am Uebergang zu einer neuen Welt, nämlich zur Welt der zweistelligen Zahlen (10 bis 99) steht.

Die Muslims, die Bekenner des Islam, besitzen ebenfalls ihre eigene Art von Mystik, den Sufismus odere das Sufitum. Diese Mystik ist eine der grossartigsten und reichsten überhaupt (Lit.: Schimmel, Annemarie: Mystische Dimensionen des Islams, Qalandar-Verlag, Aalen (D), 1979)(s.a. Hoeller, S. 151). Schliesslich kennen wir eine Mystik des Buddhismus, der heute so in Mode gekommene Tantrismus.

Mystik gibt es aber auch in Gebieten, welche auf den ersten Blick mit Religion nichts zu tun haben. Die Mystik der Naturwissenschaft ist die Quantenphysik, die Physik der allerkleinsten Elementarteilchen. Auch die Physiker finden seltsamerweise Strukturen in der Materie, die mit den introvertiert geschauten Gottesbilder der Mystiker übereinstimmen (Lit.: Roth, Remo F.: Die Gottsucher – Eine Vereinigung der christlichen Mystik und der Quantenphysik in der Synchronizität C.G. Jungs, Frankfurt a.M., 1992).

 Wenn man sich nun fragt, was heutige Menschen suchen, die der Esoterik nahestehen, so fällt auf, dass sehr viele sich mit dem Sufismus, mit dem Tantrismus und mit der Kabbalah beschäftigen. Offensichtlich suchen sie einen Weg, um ihr Bedürfnis nach mystischer Erfahrung zu befriedigen. Allerdings suchen sie diese Erfahrung wieder in typisch westlicher Manier im Aussen, nämlich in der Mystik einer fremden Religion. Der christlichen Mystik und vor allem der Alchemie wird relativ wenig Beachtung geschenkt.

4. Identitätsmystik und Beziehungsmystik

Ganz allgemein gesagt bedeutet Mystik also die Beschäftigung mit dem Göttlichen in der eigenen Seele. Hier nun müssen wir zwei gänzlich verschiedene Arten von Mystik unterscheiden: Identitätsmystik und Beziehungsmystik. In der Identitätsmystik versucht der Mystiker selbst göttlich oder Gott zu werden. So ist beispielsweise der Buddhismus als Ganzes eine Art Identitätsmystik. Der Buddhist möchte mit dem Nichts, welches dem Göttlichen entspricht, identisch werden und ins Nirvana eingehen.

Diese Identitätsmystik ist heute – vor allem seit der Physiker Fritjof Capra sie mit der Quantenphysik zusammengebracht hat – unter Esoterikern sehr beliebt. Sie besitzt jedoch einen sehr gefährlichen Aspekt für uns westliche Menschen. Wir ertragen es nämlich aufgrund unserer psychischen Voraussetzungen nicht, göttlich oder gottähnlich zu werden. Ein Identitätsmystiker, der eine Gotteserfahrung macht, ist in der Gefahr, in eine von C.G. Jung so genannte Inflation, d.h. in einen Grössenwahn hineinzufallen. Er erfährt sich plötzlich als Gott, bläht sich dementsprechend auf und will mit missionarischem Eifer allen Mitmenschen seine neuesten Weisheiten mitteilen.

Den Gegensatz zur Identitätsmystik bildet die Beziehungsmystik. Beziehungsmystik finden wir in allen drei semitischen Religionen: die jüdische Kabbalah, der muslimische Sufismus und auch die christliche Mystik sind alle dadurch geprägt, dass der Mensch eine Beziehung zu dem in seinem Inneren verborgenen Gottesbild sucht. Man nennt diese Mystik daher auch Ich-Du-Mystik. Ein christlicher oder sufischer Mystiker wird daher nie sagen, er werde durch seine Erfahrungen zu Gott, sondern er betont den Beziehungsaspekt. Er bleibt Mensch und identifiziert sich nicht mit dem Göttlichen. Der Ort dieser Beziehung zu Gott ist zudem ausnahmslos das menschliche Herz. Mit dieser Beziehungsmystik wollen wir uns heute abend beschäftigen.

5. Das kollektive Unbewusste C.G. Jungs und die Neue Mystik

Warum verwende ich aber der Begriff „Neue Mystik“? Um diesen Sachverhalt zu klären, müssen wir nun die Entdeckungen der Tiefenpsychologie mit einbeziehen. Alle tiefenpsychologischen Theorien stützen sich auf den Begriff des Unbewussten oder des Unterbewussten ab. Es ist das historische Verdienst Sigmund Freuds, das Unbewusste entdeckt zu haben. Das Wort sagt, was es ist: Es sind alle Inhalte, die dem Ich und dem Bewusstsein nicht bewusst sind. Dies bedeutet, dass es etwas gibt, von dem ich aber eigentlich nicht weiss, was es ist. Doch hat Sigmund Freud erkannt, dass dieses Unbewusste Auswirkungen auf das Bewusstsein haben kann, so dass wir aufgrund dieser Auswirkungen indirekt schliessen können, dass es existiert. Das heute berühmteste Beispiel einer solchen Auswirkung des Unbewussten auf das Bewusstsein sind die Freudschen Fehlleistungen, vor allem die Versprecher. Man möchte etwas sagen, ein unbewusster Komplex kommt dazwischen, und man verspricht sich.

Sigmund Freud hat nun angenommen, dass alles Unbewusste einmal bewusst war. Unbewusst wurden diese Inhalte durch Vergessen oder Verdrängen. Verdrängt werden vor allem unangenehme Dinge, negative Gefühle, das schlechte Gewissen, in den Zeiten Freuds noch sexuelle Phantasien, usw. Das Unbewusste Freuds ist deshalb eine Art Abfallkübel für alle diese unangenehmen Gedanken und Phantasien.

In der Terminologie C.G. Jungs stellt das Unbewusste Freuds das sogenannte persönliche Unbewusste oder den Schatten dar. Nun hat schon Freud bemerkt, dass es Träume gibt, welche sogenannte „archaische Reste“ enthalten. Es handelt sich dabei um Motive, die aus der persönlichen Psychologie des Träumers nicht erklärt werden können. Mit anderen Worten handelt es sich um Trauminhalte, die nicht infolge einer Verdrängung aus dem Unbewussten entstanden sind, sondern die schon immer im Unbewussten vorhanden waren.

So sah C.G. Jung beispielsweise bei einem Psychotiker im Burghölzli das Motiv eines Sonnenphallus: Er erzählte immer wieder dieses eine Bild von der Sonne, von welcher Schläuche auf die Erde herunterhängen. Dies ist ein Motiv, welches nur im Gilgamesh-Epos vorkommt, einer babylonischen mythologischen Sage, die damals noch nicht in eine westliche Kultursprache übersetzt worden war. Der Träumer konnte davon also nichts wissen, und doch erschien das Motiv in seinen Träumen und Phantasien. Aufgrund solcher und ähnlicher Erfahrungen schloss Jung, dass unter dem von Freud entdeckten persönlichen Unbewussten eine tiefere Schicht liegen musste, welche allgemeinmenschlich ist. Er nannte diese das kollektive Unbewusste. Seine Inhalte sind kollektiv in dem Sinn, dass es sich dabei um menschheitsspezifische Ideen handelt, die schon immer im Unbewussten waren und daher nicht durch Verdrängung entstanden sein konnten. Diese Ideen hat Jung Archetypen genannt.

Unter den Archetypen stellt man sich meist etwas unglaublich Kompliziertes vor. Um eine lebendige Vorstellung eines Archetypus zu bekommen, gibt es jedoch ein ganz einfaches Verfahren: Wenn man sich an einen Traum erinnert, der viele Jahre oder gar Jahrzehnte zurückliegt, dann handelt es sich mit aller Garantie um einen Traum aus dem kollektiven Unbewussten, in welchem solche „archaische Reste“ oder eben archetypische Motive drin sind. Als Beispiel möchte ich den Archetypus des Hegenden oder den Mutterarchetypus nennen, welcher durch viele verschiedene Bilder wie z.B. durch den Baum, durch die Höhle, durch die Kröte, die Schildkröte, oder beispielsweise auch durch den Dinosaurier dargestellt werden kann.

Wenn man in den Werken C.G. Jungs liest, sieht man, dass das, was er das kollektive Unbewusste nennt, etwas Numinoses ist. Hinter diesem Numinosum versteckt sich das Göttliche. Das kollektive Unbewusste besitzt bei C.G. Jung somit göttliche Qualitäten. Genauer gesagt spricht C.G. Jung nie von Gott oder vom Göttlichen, sondern er verwendet den Begriff des Gottesbildes, also des Bildes, das wir uns von Gott machen. Das Zentrum des kollektiven Unbewussten – er nennt es das Selbst – setzt er mit diesem Gottesbild gleich. Die bildhafte Vorstellung des kollektiven Unbewussten sieht somit etwa wie oben dargelegt aus: Im Zentrum befindet sich das Gottesbild, darum herum gruppiert sind die vielen verschiedenen Eigenschaften des Gottesbildes.

Und nun verstehen Sie, warum ich von Neuer Mystik spreche. Wenn das kollektive Unbewusste göttliche Qualitäten besitzt und das Selbst im Zentrum sogar dem in jedem Menschen angelegten Gottesbild entspricht, entpuppt sich eine Beschäftigung mit den archetypischen Träumen und Visionen dieses kollektiven Unbewussten als eine innere Beziehung zum Göttlichen. Die Beziehung zum Göttlichen in der eigenen Seele stellt aber Mystik im weitesten Sinne des Wortes dar.

Wir wissen aus der Geschichte der Mystiker – vor allem der Mystikerinnen – dass ihre Visionen und Träume aus dem kollektiven Unbewussten von ihren Beichtvätern gereinigt wurden. Alle Visionen, welche mit der offiziellen kirchlichen Doktrin nicht vereinbar waren, wurden als Einflüsterung des Teufels verdammt. Die Visionsserien der christlichen Mystikerinnen und Mystiker liegen uns also nur sehr unvollständig und verfälscht vor, so dass wir diese nur beschränkt zum Vergleich mit heutigen mystischen Erlebnissen heranziehen können. Eine Ausnahme bilden die Visionen des Niklaus von Flüe. Da er nicht in einem Kloster lebte, wussten die Kleriker nichts von seinen Visionen. Und sein Leben als einfacher Schweizer Bauer schützte ihn ebenfalls vor der besserwisserischen Dogmatik der Kleriker. Diesen Umständen ist es zu verdanken, dass wir seine Visionen in der ursprünglichen und damit ungereinigten Form überliefert bekommen haben. Wenn man sie genauer ansieht, bemerkt man, dass in ihnen die ganze germanische Mythologie verborgen liegt (Lit.: Franz, Marie-Louise von: Die Visionen des Niklaus von Flüe, Daimon-Verlag, Zürich, 2. Aufl., 1980).

In der Geschichte der Mystik wurde also immer und immer wieder versucht, den Inhalt der Visionen derart zurechtzubiegen, dass sie mit dem dogmatisierten Gottesbild übereinstimmten. Das wirklich Neue an der von mir vorgeschlagenen Art von Mystik besteht daher darin, dass man im Gegensatz zum Vorgehen der zensurierenden christlichen Kleriker den aus dem kollektiven Unbewussten auftauchenden Visionen und archetypischen Träumen völlig vorurteilslos begegnet. Auf diese Art und Weise entdeckt vielleicht ein gläubiger Christ in seinem Unbewussten ein budhhistisch-tantrisches Gottesbild und er wird die Aufgabe haben, das christliche mit dem tantrischen Gottesbild zu vereinigen. Oder ein überzeugter Christ findet im kollektiven Unbewussten Ueberreste des jüdischen Gottesbildes, welches er nun mit dem christlichen in Einklang bringen muss.

6. Ein Beispiel: Die Mystik des Niklaus von Flüe

Neue Mystik besteht somit kurz gesagt darin, dass man sich in einer völlig vorurteilslosen Art und Weise mit seinen Visionen und Träumen aus dem kollektiven Unbewussten beschäftigt und zu verstehen versucht, von welchem Gottesbild sie sprechen. Vor mehr als 500 Jahren hat dies der Schweizer Mystiker Niklaus von Flüe versucht. Als überzeugter Christ überfielen ihn schon in seiner Jugend Visionen, die von einem Gottesbild sprachen, welches sich sehr vom christlichen unterschied. Diesen Tatbestand sehen wir wieder in der Vision vom erschreckenden Gottesantlitz (s. Abb. oben). Im Bewusstsein glaubte Niklaus von Flüe an die Dreieinigkeit Gottes, an die sogenannte Trinität. Diese besagt, dass Gott aus den drei männlichen Personen Gottvater, Gottsohn und Heiliger Geist besteht. Im kollektiven Unbewussten des Niklaus herrschte jedoch ein völlig anderes Gottesbild, nämlich jenes einer Doppeltrinität, welche durch die zwei entgegengesetzten Dreiheiten der Lanzenspitzen symbolisiert wird. Diese Vision verarbeitete Niklaus im Laufe einiger Jahre in sein berühmt gewordenes Radbild.

Zudem erscheint in diesem Gottesbild neben dem Heiligen Geist auch eine Göttin. Sie korrigiert das christliche Gottesbild und ergänzt es durch das weibliche Prinzip, welches durch die Kirchenväter ausgeschlossen worden war. Fast 500 Jahre später hat dann Papst Pius XII. im Dogma von der „assumptio Mariae“, im Dogma von der leiblichen Himmelfahrt der Gottesmutter Maria, diesen Schritt nachvollzogen – und wurde von den meisten Theologen ausgelacht. Für C.G. Jung war diese Anerkennung des Weiblichen als göttliches Prinzip jedoch eine grosse Hoffnung für die spirituelle Zukunft der christlichen Welt.

Niklaus von Flüe musste sich fast sein ganzes Leben lang mit diesem im Unbewussten konstellierten Gottesbild auseinandersetzen, welches sein bewusst geglaubtes christliches Gottesbild kompensierte. Ebenso gibt es heute schon viele Menschen, in welchen solche neue Gottesbilder konstelliert sind. Da die Träume und Visionen aus dem kollektiven Unbewussten eine verschleierte und dunkle Sprache sprechen, welche ohne eine gewissen Technik und ein vertieftes Wissen um die darin enthaltenen Symbole nicht verstanden werden kann, suchen sie aussen und lassen die Schätze der eigenen Seele verkümmern. Doch immer mehr Menschen beginnen zu begreifen, dass die eigentliche Weisheit von innen kommt, dass der tiefste Sinn des Lebens darin liegt, das im eigenen Innern konstellierte Gottesbild zu erkennen, indem man es in den eigenen Träumen und Visionen sucht. Diese Menschen sind die Mystikerinnen und Mystiker der heutigen Zeit, sie arbeiten – alle auf die ihnen eigene Art und Weise – am Gottesbild der Zukunft.

7. Die Mystik der Alchemie

Ich habe vorhin erwähnt, dass die Alchemie die Mystik des Christentums darstellt. Es ist daher kaum verwunderlich, dass in Träumen und Visionen meiner Klienten immer wieder Bilder auftauchen, welche sich mit dem alchemistischen Prozess der Gotteswandlung beschäftigen. Es scheint, dass immer mehr Menschen heute die Aufgabe haben, diesen Prozess der Gotteswandlung in der Alchemie zu verstehen und bewusst nachzuvollziehen. Ich möchte Ihnen daher im folgenden diesen innerseelischen Prozess der Wandlung des Gottesbildes näher ausführen.

Bevor ich auf diesen äusserst ketzerischen Mythos der Alchemisten eingehen kann, muss ich mit einem weitverbreiteten Vorurteil bezüglich der Alchemie aufräumen. Die meisten Menschen glauben heute noch, dass Alchemie die Goldmacherkunst des Mittelalters war. Man meint, dass das Wesen der Alchemie darin bestand, dass gewisse Leute versuchten, aus unedlen Metallen, beispielsweise aus Blei oder aus Kupfer, Gold zu machen. C.G. Jung hat nachgewiesen, dass dies ein grosses Missverständnis ist. Zwar gab es geldgierige Alchemisten, die wirklich glaubten, dass sie auf irgendeine mysteriöse Art Gold machen könnten, doch die intelligenteren unter ihnen sahen das Opus, das alchemistische Werk, als ein symbolisches Werk. Goldmachen war für sie ein symbolischer Ausdruck dafür, das Göttliche, das Unzerstörbare, das durch Feuer nicht Verbrennbare in sich selbst herzustellen. Ausgangsstoff für das Göttliche war dabei die prima materia, welche nach Ansicht der Aerzte unter den Alchemisten, vor allem bei Paracelsus und Gerhard Dorn, im menschlichen Körper verborgen war. Nur nebenbei möchte ich Sie darauf hinweisen, dass diese christlich-alchemistische Einsicht vollständig der Zentralidee des tantrischen Buddhismus entspricht.

Wie diese alchemistischen Motive in Träumen moderner Menschen spontan auftauchen können, will ich Ihnen am folgenden Beispiel zeigen. In einer sehr kritischen Lebensphase erlebte eine meiner Klientinnen die folgende Vision:

Ich bin mit einer Fee auf einem runden Dorfplatz. Ich werde auf einen Scheiterhaufen gebracht, um verbrannt zu werden. Dabei verwandelt sich mein Körper in eine Taube und fliegt davon.

Wenn ein vergangenheitsorientierter Mensch von dieser Vision hört, wird er sicher annehmen, dass sie von der Reinkarnation handelt. Meine Klientin würde in diesem Fall annehmen, dass sie in einem früheren Leben als sogenannte Hexe verbrannt worden wäre. Ob diese Annahme zutrifft oder nicht, wird man nie beweisen können. Die Reinkarnations-Idee wird immer Spekulation bleiben. Man kann sie glauben oder auch nicht. In der vorliegenden Vision erklärt sie zudem die Motive der Fee und der Taube nicht.

Wenn man nun statt dessen annimmt, dass diese Vision aus dem kollektiven Unbewussten stammt, könnte man versuchen, diese mit Hilfe der Interpretationsmethode C.G. Jungs zu verstehen. Man könnte sich somit fragen, welche Aufgabe im Hier und Jetzt und welche Zukunftsperspektiven durch diese Vision beschrieben werden. Derart beziehen wir solche archetypische Träume und Visionen auf die Gegenwart und die Zukunft des betroffenen Menschen. Die Frage lautet somit nicht, was diese Vision über ein früheres Leben aussagen könnte, sondern man fragt sich, was sie für das Hier und Jetzt und die Zukunft der Visionärin bedeuten könnte. Die Vergangenheit wird ihrerseits dadurch berücksichtigt, dass man sich fragt, was die betreffenden Traummotive früher bedeutet haben könnten.

Um diese Aufgabe im Hier und Jetzt herauszufinden, wende ich die sogenannte Amplifikationsmethode C.G. Jungs an. In ihr sucht man nach Parallelen zu den Traum- oder Visionsmotiven in der Geschichte der Menschheit. Wenn man herausfindet, was diese Parallelmotive damals bedeutet haben, kann man auch den tiefsten Sinn eines archetypischen Traumes oder einer Vision für die Gegenwart und die Zukunft des betreffenden Menschen verstehen.

Da der Unterschied zwischen der Reinkarnationstheorie und der Neuen Mystik sehr wichtig ist, will ich diesen nochmals kurz aufzeigen: Vertreter der Reinkarnationshypothese beziehen solche Träume, wie den vorher erwähnten von der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen, auf ein früheres Leben. Für C.G. Jung sind darin jedoch archetypische Motive geschildert, welche dem Individuum von heute etwas über seine zukünftige Entwicklung sagen wollen. Jung bezieht einen solchen Traum somit auf das Hier und Jetzt und auf die Zukunft, lässt sich aber von der Vergangenheit beraten, was der Traum bedeuten könnte.

Wendet man die Jungsche Amplifikationsmethode auf unsere Vision an, so sieht man, dass das Motiv des durch das Feuer nicht Zerstörbaren zum berühmten Phönixmythos gehört. Darin verbrennt sich der Vogel Phönix in seinem Nest durch seine eigene Körperhitze. Aus der eigenen Asche wird er wiedergeboren und ist nun unsterblich.

Eben diese Herstellung des Unzerstörbaren und Unsterblichen ist aber ein wesentliches Ziel der Alchemie. In der Vision meiner Klientin entsteigt der Asche jedoch eine Taube. Offensichtlich stellt diese Taube das Ziel ihres jetzigen Lebens dar. Die Taube ist ein Symbol des Heiligen Geistes einerseits, andererseits ein Attribut der griechisch-römischen Göttin Venus-Aphrodite. Es handelt sich also um einen weiblich-göttlichen Geist, der aus der Asche des verbrannten Körpers wiederaufersteht. Da dieser Geist mit der Göttin Venus-Aphrodite verbunden ist, scheint er wesentlich mit dem Prinzip des Eros zusammenzuhängen (S.a. Hoeller, S. 165ff.).

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Nach der Pause werden wir sehen, dass es sich bei diesem weiblich-göttlichen Prinzip um die Weltseele (anima mundi) beziehungsweise um den Hauchkörper (subtle body) handelt. Zudem wird uns klar werden, wie die Befreiung dieser Weltseele beziehungsweise der Aufbau des Hauchkörpers mit der Neuen Mystik zusammenhängt.

 

8. Der alchemistische Mythos der Gotteswandlung

Das Phönixmotiv, die Befreiung eines weiblich-göttlichen Geistes aus der Materie oder aus dem Körper, ist Teil des alchemistischen Mythos der Gotteswandlung. Dieser Mythos der Gotteswandlung ist es, der in den Träumen moderner Menschen immer wieder und immer häufiger auftaucht. Die Idee, dass Gott eine Wandlung nötig habe, war den Alchemisten sehr vertraut. Sie stellt jedoch vom kirchlichen Standpunkt aus eine ungeheuerliche Ketzerei dar. Die Kirchenväter hatten Gott nämlich als ewig unwandelbar deklariert, und dieses Dogma verkündet die katholische Kirche noch heute. Und nun erlauben sich Menschen im Mittelalter, von der Wandlung Gottes zu sprechen. Viele haben dafür auf dem Scheiterhaufen gebüsst.

Da die Alchemisten deshalb nicht offen erklären konnten, dass sie über die Wandlung Gottes sprachen, nahmen sie das Bild des Rex, des Königs, der sich wandelt. Aber wenn man die Texte liest, sieht man die Ergriffenheit dieser Alchemisten und merkt derart, dass damit die Wandlung Gottes gemeint ist.

Ein wichtiger Teil des alchemistischen Werks dreht sich um diese Wandlung des Rex, des Gottkönigs. Die Alchemisten waren Christen, und viele von ihnen waren auch Priester. Sie kannten also die christliche Lehre von der Trinität Gottes. Am Anfang des meditativen Werkes der Alchemisten steht deshalb ein rein männlicher Gott, eben der Gott der christlichen Trinität mit Gottvater, Gottsohn und dem Heiligen Geist, dargestellt durch das mit der Spitze nach oben gerichtete Dreieck.

 

Nun aber kommt das Neue und Ketzerische: In einer zweiten Stufe altert dieser dreieinige Gott, oder er wird krank, er stirbt, er löst sich auf und er versinkt in der Erde. Dieser Sachverhalt stellt ein Beispiel einer archetypischen Idee dar, welche plötzlich konstelliert ist und das Bewusstsein jedes Menschen überschwemmen kann. Die Alchemisten und die christlichen Mystiker müssen einen grossen Schock erlebt haben, als sie sich über die Tragweite dieser neuen Idee bewusst wurden. Wie ich vorher schon erwähnt habe, hat der Mystiker Niklaus von Flüe ein Leben lang mit dieser neuartigen und furchterregenden Idee gerungen (s. ob. Folie, Pkt. 3).

Die dritte Stufe der alchemistischen Gotteswandlung stellt eine noch gewaltigere Revolution dar: Im alchemistischen Mythos hat jeder Mensch in diesem Erdenleben die Aufgabe, die Gottheit aus der Materie oder aus seinem eigenen Körper zu erlösen (s. ob. Folie, Pkt. 4).

Erinnern wir uns hier nun an den vorher erwähnten Phönixmythos. Die dritte Stufe der Wandlung des Gottes der Alchemie entspricht diesem Phönixmythos und damit der Vision meiner Klientin. Hier wird das durch das Feuer nicht Zerstörbare, der Phönix beziehungsweise die Taube, hergestellt.

Dieses Unzerstörbare wird auch durch das Gold dargestellt, welches der Alchemist herstellen muss. Die Alchemisten betonen aber immer, dass es sich dabei nicht um das gewöhnliche Gold handelt, sondern um das sogenannte philosophische Gold.

In der Vision meiner Klientin wird dieses Unzerstörbare, welches aus der Asche des Körpers aufgebaut wird, durch die Taube dargestellt. Und diese Taube symbolisiert, wie ich schon erwähnt habe, einerseits ein Geistprinzip, andererseits die Göttin Venus-Aphrodite, somit ein weiblich-göttliches Geistprinzip, welches zudem sehr viel mit dem Prinzip des Eros zu tun hat. Wie wir sehen werden, handelt es sich dabei um die sogenannte Weltseele (anima mundi), welche aus der Materie oder aus dem Körper befreit worden ist.

Wenn der Mensch dieser Gottheit hilft, sich zu wandeln und aus der Materie neu aufzuerstehen, passiert also etwas weiteres, welches den Namen Revolution verdient: Diese in der Erde, in der Materie oder im Körper versunkene Gottheit ist weiblich, ist eine Frau oder besser eine Göttin. Die Erlösung Gottes gipfelt somit darin, dass sein weiblicher Aspekt erlöst und damit im Menschen inkarniert wird.

Zudem zeigt sich, dass diese Göttin mit der Materie beziehungsweise mit dem menschlichen Körper verbunden ist, somit also heidnische Züge trägt. Auch diese weibliche Gottheit ist triadisch beziehungsweise trinitarisch, besteht somit aus drei Einzelpersonen, welche jedoch eine Einheit bilden. Dieser Sachverhalt nähert sie den heidnischen Göttinnen, beispielsweise der keltischen dreiköpfigen Göttin oder der griechischen Trinität von Demeter, Hekate und Persephone an. Sie wird durch das mit der Spitze nach unten gerichtete Dreieck – eine Abstraktion des weiblichen Beckens – dargestellt (s. ob. Folie, Pkt. 5).

Die Erlösung eines weiblichen Aspektes des Gottesbildes widerspricht total der Dogmatik des Christentums. Zudem sagt diese aus, dass es Gott ist, welcher den Menschen erlösen wird. Hier wird der Sachverhalt umgedreht: In Zukunft wird jeder Mensch der Gottheit helfen müssen, sich zu wandeln, ihren weiblichen Aspekt zu erlösen und neu wieder aufzuerstehen. Darin wir eine wesentliche Aufgabe des modernen Mystiker und vor allem der modernen Mystikerin bestehen.

Die Auffassung, dass der Mensch Gott helfen muss, seinen weiblichen Aspekt zu erlösen, steht wie gesagt in völligem Gegensatz zur christlichen Dogmatik. In dieser ist es ja eben der allgütige dreieinige Gott, der der Menschheit immer aus der Verlegenheit hilft, und die Kleriker und Theologen wissen wie und erzählen dies in abgedroschenen Phrasen dem heute nicht mehr so staunenden Publikum. Die Alchemisten haben jedoch den Spiess umgedreht: Jeder einzelne Mensch muss, meist ohne die Hilfe der Theologen, Gott helfen, sich zu wandeln – wie gesagt ein ungeheuerlicher Gedanke, der aber auch die Graalssagen des 12. Jahrhunderts (im Symbol des runden Gefässes, welches der Mensch in der Queste in diesem Leben finden muss) und die jüdische Kabbalah eines Isaak Luria wie ein roter Faden durchzieht (s. ob. Folie).

Wenn sich diese weibliche Gottheit in einer vierten Stufe des Wandlungsprozesses mit der männlichen vereinigt, wird dies symbolisch durch die beiden ineinander verschlungenen Dreiecke dargestellt. Derart entsteht das doppeltriadische Siegel Salomos, das Wahrzeichen der Alchemie und das Symbol der Vereinigung des männlichen Prinzips mit dem weiblichen (s. ob. Folie).

Dieses Siegel Salomos scheint dem Gottesbild zu entsprechen, welches heute in vielen Menschen konstelliert ist. Ich habe es bei Todkranken gesehen, bei Drogensüchtigen, bei UFO-Entführungsopfern und bei Menschen, die ohne es zu wissen, bereits zu den Neuen Mystikern gehören. Wie der bedeutende jüdische Mythenforscher Gershom Sholem betont, ist dieses Siegel Salomos beziehungsweise der Davidstern nicht etwa jüdischen Ursprungs. Es findet sich über die ganze Welt verteilt, in vielen verschiedenen Kulturen, so beispielsweise als Symbol des Herzchakras, des anahata des buddhistischen Tantrismus, oder im Herzen der Sufis, der Mystiker des Islam, oder als Radbild des Niklaus von Flüe oder als Symbol des alchemistischen Werks und sogar als Symbol der Atomkraft in der Physik. Ganz allgemein kann man sagen, dass dieses Siegel Salomos ein Symbol der aus der Materie oder aus dem menschlichen Körper befreiten Weltseele darstellt.

9. Die Befreiung und Erlösung der Weltseele

Damit müssen wir uns nun die Frage stellen, wer oder was denn diese Weltseele sein könnte (vgl. dazu auch Die alchemistische Weltseele, das kollektive Unbewusste C.G. Jungs und die Konzepte der modernen Physik). Bis ins siebzehnte Jahrhundert, bis zum Auftauchen Descartes (1596 bis 1650), glaubten die Menschen daran, dass das Universum und die Materie ganz allgemein beseelt seien. Die Personifizierung dieser Idee führte zum Gedanken der göttlichen Weltseele. Unter dieser Weltseele stellten sich die Alchemisten eine psychische Energie vor, welche die ganze Materie des Universums durchdringt. Sie ist Ursprung aller Neuschöpfung im Universum. Gemäss Paracelsus ist die Weltseele seit jeher (coaetern) mit Gott zusammen und stellt dessen weiblichen Aspekt dar. Dies heisst speziell, dass sie nicht vom christlichen Gott geschaffen ist – welch ungeheuer ketzerischer Gedanke des Einsiedler Arztes! -, sondern ein eigenes schöpferisches Prinzip darstellt.

Wie ich vorhin gezeigt habe, besteht ein wesentlicher Teil des alchemistischen Werks darin, diese Weltseele aus der Verhaftung an die Materie zu erlösen. In diesem erlösten Aspekt wird diese Weltseele als rund und spiegelbildlich geschildert. Diese Eigenschaften verbindet sie mit dem Siegel Salomos, welches ja einerseits direkt aus dem Kreis konstruiert werden kann und andererseits aus zwei spiegelbildlichen Dreiecken besteht.

 

 

Was bedeutet aber eine solche Befreiung der Weltseele, welche das Werk der modernen Mystikerin und des modernen Mystikers sein wird, ganz konkret? Als erstes heisst dies, dass wir hinter Descartes zurückkehren und die Allbeseeltheit der Materie und des Universums wieder anerkennen müssen. Längerfristig wird dies in eine neue Form des Animismus hineinführen. Dieser Animismus, der Glaube an eine Allbeseeltheit der Natur, ist übrigens noch längst nicht ausgestorben. Wie der Urner Arzt Eduard Renner in seinem Buch Goldener Ring über Uri (1941) gezeigt hat, existierte noch vor einigen Jahrzehnten in den Schweizer Bergen dieser animistische Glaube an die Weltseele. Auch die krankhafte Tendenz vieler heutiger Menschen, immer mehr und immer höllischeren Lärm zu produzieren zeigt, dass in ihrem Unbewussten eine tiefste Angst vor dieser Geisterwelt zurückgeblieben ist, denn mit Lärm hat man in allen archaischen Kulturen versucht, diese animistischen Geister zu vertreiben, wenn sie ungemütlich wurden.

Ich mache mir allerdings keine Illusionen darüber, dass allzuviele Menschen der heutigen westlichen Welt die Realität der Weltseele werden anerkennen können. Der heutige Trend läuft in eine andere Richtung. Nun gibt es aber ein psychologisches Gesetz, welches besagt, dass seelische Realitäten, welche bewusst nicht wahrgenommen werden, über kurz oder lang in der Aussenwelt erscheinen. Es scheint, dass diese innere Realität, infolge der Weigerung der Menschen, sie wahrzunehmen, sozusagen in die äussere Realität hinausprojiziert würde. Deshalb haben wir uns zu fragen, welche Phänomene diesem äusseren Erscheinen der Weltseele entsprechen könnten.

Der Aspekt der Rundheit der göttlichen Weltseele führt uns auf die Spur. Meine Forschungen haben mich zur Ueberzeugung gebracht, dass die immer häufiger werdenden Beobachtungen von UFOs, von „unidentified flying objects“, die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle Kreisgestalt besitzen, dem Erscheinen der vernachlässigten göttlichen Weltseele in der Aussenwelt entsprechen. Oder einfacher ausgedrückt: Die Ufos entsprechen dem äusserlich sichtbaren Aspekt der zu befreienden Weltseele. Je länger wir uns weigern, diese weiblich-göttliche Weltseele als psychische Realität anzuerkennen, desto brennender und gefährlicher wird das Problem der UFOs werden. Dies zeigt sich auch darin, dass diese UFOs in früheren Jahren fast ausnahmslos mit positiven Absichten in Erscheinung traten, dass sie nun aber – da wir ihren wahren Sinn nicht verstehen wollen – immer negativer und destruktiver werden (Lit: m. „Gottsucher“).

10. Der Aufbau des Hauchkörpers für das Leben nach dem Tod

Zum Schluss wollen wir uns nun noch mit der Frage beschäftigen, was die von mir so genannte Neue Mystik denn mit dem Leben nach dem Tod zu tun haben könnte. Wir wissen vorläufig, dass eine wesentliche Aufgabe der modernen Mystiker darin zu bestehen scheint, dass sie durch ein meditatives Werk der weiblich-göttlichen Weltseele zu neuer Anerkennung verhelfen. Um zu verstehen, was diese Erlösung der Weltseele mit einem eventuellen Leben nach dem Tod zu tun haben könnte, müssen wir uns nun auf die Alchemie zurückbesinnen.

Das alchemistische Werk konnte auf zwei Arten durchgeführt werden: Entweder versuchte der Alchemist die Weltseele aus der ihn umgebenden Materie zu erlösen, beispielsweise, indem er sich mit dem chemischen Prozessen des verdampfenden Quecksilbers beschäftigte.

Es erstaunt nicht, dass die moderne Physik als Nachfolgerin der Alchemie ebenfalls versucht hat, die Weltseele aus der Materie zu befreien. Dies ist ihr vor ungefähr 50 Jahren mit der Kernspaltung geglückt. Die Atombombe stellt daher den folgerichtigen Schlusspunkt der Befreiung der Weltseele im Makrokosmos dar.

Im Gegensatz zur modernen Physik galt jedoch für den Alchemisten die Devise „Wie aussen, so innen“. Was im Makrokosmos geschah, hatte seine spiegelbildliche Entsprechung im Mikrokosmos, somit also im menschlichen Körper. Deshalb konnte der Alchemist diese Aufgabe der Befreiung der Weltseele auch in den menschlichen Körper verlegen. So ist vor allem die Alchemie des Paracelsus und seines Schülers Gerhard Dorn (Dorneus) tief geprägt von diesem introvertierten Versuch der Erlösung der Weltseele. Die Vorstellungen dieser Prozedur entsprechen weitgehend jenen des buddhistischen Tantrismus. Aus dem grobstofflichen Körper befreit der Alchemist einen feinstofflichen. Und dieser feinstoffliche Körper, der Astralleib, der Ewigkeitsleib oder der Hauchkörper, entspricht im Denken der Alchemisten nichts weniger als der befreiten Weltseele. Die makrokosmische Erlösung und Befreiung der Weltseele aus der Materie entspricht somit auf der mikrokosmischen Ebene dem Aufbau des Hauchkörpers, des Ewigkeitsleibs. Und dieser durch meditative Uebungen in diesem Erdenleben aus dem grobstofflichen Körper aufgebaute Hauch- oder Astralkörper oder eben dieser Ewigkeitsleib dient als Vehikel des Lebens nach dem Tod.

Damit haben wir den Zusammenhang zwischen der Neuen Mystik und dem Leben nach dem Tod gefunden. Die Neue Mystik beschäftigt sich einerseits mit der Erlösung der Weltseele aus der Materie, andererseits mit dem Aufbau eines Hauchkörpers für das Leben nach dem Tod. Dabei entspricht dieser aus dem grobstofflichen Leib aufgebaute Hauch- oder Astralkörper nichts weniger als der Weltseele, die durch eben diese Prozedur aus der Materie befreit worden ist.

Nun verstehen wir auch den vorher zitierten Traum noch besser. In diesem wird die Träumerin in Anwesenheit einer Fee auf einem runden Dorfplatz auf dem Scheiterhaufen verbrannt und wandelt sich in eine Taube. Die Rundheit des Platzes deutet schon darauf hin, dass der Traum mit der Befreiung der Weltseele zu tun haben muss. Die Fee – eine Personifikation der Allbeseeltheit und Weisheit der Natur – symbolisiert natürlich die erlöste Weltseele, die Taube, die aus dem verbrannten Körper neu entsteht, bedeutet den im Aufbau begriffenen Hauchkörper meiner Klientin. Die Fee und die Taube sind zudem insgeheim eins, sie bedeuten einerseits den makrokosmischen Aspekt der Weltseele, andererseits deren mikrokosmischen Aspekt des Hauchkörpers.

Dieser Hauchkörper ist unzerstörbar wie der aus der Asche wiedererstandene Phönix. Er wird derart zum Vehikel für das ewige Leben nach dem Tod. Im Gegensatz zum Christentum wird aber das ewige Leben nicht einfach durch den Glauben an Jesus Christus geschenkt, sondern der Aufbau des Ewigkeitsleibes für das Leben nach dem Tod stellt die wichtigste Aufgabe des jetzigen Lebens dar. Diese Aufgabe ist der Neuen Mystik heute gestellt. Es entspricht meiner tiefsten Ueberzeugung, dass diese Aufgabe vielen heutigen Menschen einen neuen Lebenssinn zurückgeben und sie aus der Sinnlosigkeit der heutigen Zeit erlösen könnte.

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