Körperseele, vegetative Empfindung und Eros-Bewusstsein

Das Konzept der Körperseele (oder gleichbedeutend dazu des subtle body oder Hauchkörpers, Astralkörpers des Paracelsus) findet sich in den Seelenvorstellungen fast aller Religionen und Kulturen. Es ist in unserer modernen westlichen Kultur, vor allem durch die einseitig auf den äusseren Aspekt der Materie und des Körpers gerichtete Haltung der Naturwissenschaft, praktisch verlorengegangen. Als Überbleibsel lebt die Ahnung von der Körperseele noch in der Aussage, dass man viele Dinge „aus dem Bauch heraus“ richtig entscheiden kann.

Die Naturwissenschaft betrachtet also alle Phänomene nur von ihrem äusseren Aspekt her. Diese Phänomene untersucht sie zudem mit Methoden und Instrumenten, die ausschliesslich mit Hilfe der Wahrnehmungsorgane des Zentralnervensystems, das heisst mit Augen, Ohren, Mund und Tastsinn erfahren und mithilfe des Gehirns interpretiert werden. Da sie der irrigen Meinung ist, dass das Zentralnervensystem und das Gehirn die einzigen Wahrnehmungsorgane darstellen, kann sie nur einen äusserst einseitigen, auf den äusseren, materiellen Aspekt reduzierten Teil der Wirklichkeit beschreiben.

Historisch gesehen ist diese Einseitigkeit aus einem Prozess herausgewachsen, der in der Alchemie des Gerardus Dorneus im 16. Jahrhundert als die unio mentalis (siehe dazu Der Archetypus der mystischen Hochzeit, Kapitel 3)  beschrieben wird. Darin wird die Seele aus der Materie erlöst und mit dem Geist vereinigt, woraus die Geist-Seele entsteht. Die Erlösung des inneren geistigen Aspekts, der individuellen Geist-Seele, kulminierte im Aufbau des Logos-Bewusstseins mit seiner Betonung der Funktion des Gehirns, des Intellekts, sowie der nach aussen gerichteten Sinnesorgane. Der kollektive Aspekt der Erlösung des Geistes der Materie setzte sich in Bemühen der Naturwissenschaft durch, die Energie aus der Materie zu befreien, das heisst in der allgemeinen Tendenz der Energetisierung der Materie. Die mit der Zeit sich aufbauende individuelle Geist-Seele, das Gehirn des Naturwissenschaftlers, wurde so befähigt, die kollektive Geist-Seele, die physikalische Energie aus der Materie zu befreien und zu beherrschen. Dieses Bemühen kulminierte schliesslich in der Befreiung jenes unheimlichsten Geistes der Materie, der Atomkraft, der Instanz, die „die Welt im Innersten zusammenhält“…!

Zugleich mit der Befreiung der Atomkraft aus der Materie wurde und wird als Nebenprodukt auch die künstliche Radioaktivität geschaffen. Sie wird – aus Gründen, auf die ich hier nicht eingehen kann – in die zweite Phase des alchemistischen Opus, in die sogenannte unio corporalis (vgl. dazu Der Archetypus der mystischen Hochzeit, Kapitel 4) hinein führen. Darin steigt die erlöste Geist-Seele vom platonischen Empyräum oder vom christlichen Himmel wieder in den in der ersten Phase, in der unio mentalis, abgetöteten Körper hinunter. Derart wird dieser tote Körper – der Leser assoziiert im makrokosmischen Fall ganz richtig die sogenannte tote Materie – wieder belebt und wird zur von mir so genannten Körperseele. Auch dieser Prozess findet wieder sowohl individuell und kollektiv, als auch im Inneren jedes einzelnen Menschen und im Aussen des Universums statt.

Wir sind daher vor die Aufgabe gestellt, diesen am Beginn des 21. Jahrhunderts konstellierten alchemistischen Prozess in eine Sprache zu fassen, die die naturwissenschaftliche Terminologie mit einschliesst:

In einer modernen Terminologie definiere ich die Körperseele – in bewusstem Gegensatz zur rational-materialistischen Weltanschauung – als das Bauchhirn und sein innneres Wahrnehmungsorgan, die vegetative Empfindung (English: vegetative sensation) [Zur Definition siehe Eros-Bewusstsein]   Paracelsus hat einen wichtigen Aspekt dieses Organs noch gekannt und den Archaeus oder auch den Alchemisten des Magens genannt. In einer modernen Sprache nennen wir den grobstofflichen Aspekt der Körperseele das vegetative und enterische Nervensystem. Es reguliert die inneren Prozesse des Körpers, die wir mit Hilfe des Zentralnervensystems nicht steuern können, beispielsweise den Herzschlag. Meine Entdeckung besteht darin, dass die Körperseele auch über eine Art Sprache verfügt. Diese äussert sich einerseits in innerlich geschauten Bildern oder Bildfolgen, andererseits in vegetativen Körperempfindungen, die im Gegensatz zu Träumen und Visionen als sehr substanziell und körperhaft erfahren werden. Vgl. dazu Beispiele von SST.

Das Bauchhirn und sein Wahrnehmungsorgan nennen die Japaner das Hara. Sowohl der buddhistische als auch der hinduistische Tantrismus hat den feinstofflichen Aspekt dieser Körperseele in die drei sogenannten unteren Chakras in der Bauchregion ausdifferenziert. Wir Westler spüren davon noch am ehesten das manipura (s.dazu Die Chakras des Tantrismus) – sein grobstofflicher Aspekt entspricht dem Solarplexus (Sonnengeflecht) im Magenbereich (vgl. dazu die Abbildung in Bauchhirn) – weil es sehr viel mit dem Prinzip der Aggression zu tun hat, die sich im Westen im Lauf der letzten paar hundert Jahre in jenes des Logos transformiert hat (vgl. dazu Bilder aus dem Bauch).

Ich betrachte die Körper-Seele und ihre Organe, das Bauchhirn und die vegetative Empfindung, als komplementär zur Geist-Seele, die sich, wie gesagt, seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aufgebaut hat und in einer modernen Sprache die Einheit von Gehirn und (nach aussen gerichtete) Sinnesorganen beziehungsweise Zentralnervensystem darstellt.

Das Bewusstsein, das sich des Bauchhirns und seines inneren Sinnesorgans bedient, nenne ich das Eros-Bewusstsein. In der Sprache von C.G. Jungs Typologie definiere ich es als ein Bewusstsein, das über die Funktionen introvertiertes Gefühl, vegetative Empfindung (vegetative sensation) und Intuition verfügt und – im Prozess der Symptom-Symbol-Transformation (SST) oder Körperzentrierten Imagination (s.u.) – das Denken bewusst ausschaltet. Das Eros-Bewusstsein wird derart komplementär zum Logos-Bewusstsein, das sich des Denkens, der extravertierten Empfindung und der Intuition bedient, während es das Gefühl völlig vernachlässigt (was in die sogenannte Wertfreiheit der Naturwissenschaft hinein führt!)

Wie sehr die Körperseele und mit ihr das Bauchhirn und das zugehörige introvertierte Sinnesorgan, die vegetative Empfindung (vegetative sensation) konstelliert sind, zeigt der heute derart in Mode gekommene Neo-Tantrismus, der wie seine hinduistischen und buddhistische Vorbilder, der Tantrismus und der Kundalini Yoga, eben auf der Erfahrung des Bauchhirns beruht.

Wir müssen uns jedoch davor hüten, die originale tantrische Erfahrung in typisch westlicher Manier einfach nachzuäffen, wie dies beispielsweise im so genannten Neo-Tantrismus geschieht (vgl. Neo-Tantrismus und Symptom-Symbol-Transformation). Auf diese Weise denken wir uns mit Hilfe des Kopfhirns in das Bauchhirn hinein. Gelingt es jedoch, sich vom Kopfhirn zu lösen und sich derart mit dem Bauchhirn zu identifizieren, dass diese Beziehung nicht nur gedacht ist, sondern als vegetative Empfindung (sensation) erfahren wird (vgl. z.B.  Behandung eines Angstzustandes), ist das von mir so genannte Eros-Bewusstsein aufgebaut worden.

Das Eros-Bewusstsein verfügt über das Bauchhirn und die vegetative Empfindung (sensation), so wie das Logos-Bewusstsein die Instrumente des Gehirns und der Sinnesorgane beherrscht. Gemäss der tantrischen Vorstellung ist das Bauchhirn dreiteilig gegliedert und entspricht den unteren drei Chakras. Dank unserer habituellen Gehirnverhaftung, die sich seit der Entwicklung der Naturwissenschaft im 17. Jahrhundert immer mehr verfestigt hat, haben wir – vor allem wir westliche Männer – jedoch schon grösste Schwierigkeiten, das manipura-Bewusstsein im Solarplexus, den „Alchemisten des Magens“ des Paracelsus aufzubauen. Noch viel schwieriger ist der Aufbau des svadhisthana-Bewusstseins, die Identifikation mit dem zweituntersten Chakra. Es dient unter anderem, wie ich in Das UFO trägst du in deinem Bauch gezeigt habe, der Transformation sexueller Phantasien in die Schau einer neuartigen, vom Prinzip des Eros und der Telepathie geprägten Welt.

Durch eine spezifische Imaginationsmethode, die von mir entwickelte Symptom-Symbol-Transformation oder Körperzentrierte Imagination, kann jeder Mensch sich in das Eros-Bewusstsein fallen lassen, um mit seiner Körperseele beziehungsweise mit dem Bauchhirn Kontakt aufnehmen. Diese können uns – genauso wie das Zentralnervensystem und das Gehirn – Wahrnehmungen über den Zustand unseres Körpers vermitteln.

Diese Äusserungen des Bauchhirns oder der Körperseele werden in den meisten Fällen durch bildhafte Symbole dargestellt (s. dazu Beispiele von Hauchkörpererfahrungen). Im Prozess der Körperzentrierten Imagination kann man diese Symbole sich entwickeln lassen. Während viele dieser Bilder unmittelbar verständlich sind, tauchen des öfteren aber auch Symbole auf, die nur mit Hilfe der sogenannten Amplifiaktionsmethode C.G. Jungs gedeutet werden können (vgl. dazu z.B. Nackenverspannung und mystischer Aufbau des Hauchkörpers).

Es zeigt sich in der therapeutischen Praxis, dass dieser „innere Film“ in symbolischer Form sowohl den Ausweg seelischen Krisen aufzeigt als auch in eine Besserung und Heilung psychosomatischer und somatischer Krankheiten führt.

<Neue Fassung vom 19. 8. 2011>

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