Das „Gnusch“ der ohnmächtigen Wut und der „Geist aus der Flasche“

Erfahrungsbericht einer Patientin

Beim Besuch der Ausstellung Neue Masche im Bellerive-Museum in Zürich fällt mir ein Makramee auf, das sehr viele chaotische Verknotungen, ein „Gnusch“ enthält. Beim Betrachten desselben bekomme ich eine ganz flaue Empfindung in der Magengegend.

Da ich anschliessend bei Remo Roth einen Termin habe, steigen wir mithilfe seiner Symptom-Symbol-Transformation gleich in diese flaue Empfindung ein:

Während ich auf der Therapieliege liege, hält Remo Roth seine Hand auf die Stelle in der Gegend des Magens – RFR: dort befindet sich das Sonnengeflecht oder das manipura der Tantriker (s. u.) – wo ich diese seltsame Empfindung der Flauheit spüre.

Er lässt mich diese eine Weile ganz bewusst spüren. Dann sagt er: „Ich weiss nicht, was der Ausdruck ‚flau‘ heisst.“ Können sie diesen mit einem Bild oder mithilfe des Satzbeginns „Das ist, wie wenn …“ beschreiben?

In meinem Fall steigt sofort ein Bild auf: Ich sehe eine Flasche und will deren Deckel wegdrehen, um sie zu öffnen. Doch der Deckel dreht immer hin und her, hin und her, ohne Ende, und zwar rasend schnell. Spontan drücke ich dieses rasende Hin-und-Her mit der Hand aus und zeige es so Remo.

Bemerkung von RFR: In diesem Moment geschieht der spontane Übergang vom Symptom in das Symbol, das innere Bild. Dieses innere Bild gehört im Fall meiner Patientin zudem zu einer vegetativen Empfindung, zu einer Empfindung die mit Hilfe des vegetativen Nervensystems, mit dem Paracelsischen Archaeus, erfahren wird, nämlich zum Hin-und-Herdrehen des Flaschendeckels. Es ist die magische Welt des Hauchkörpers, des subtle body. [Siehe dazu auch die vegetative Körperempfindung des Christian Buddenbrook in Bauchhirn (am Schluss).]

Remo lässt mich, nachdem er meine Zustimmung eingeholt hat (RFR: keine Vergewaltingung der Patientin!), dieses sehr unangenehme Hin-und-Her einige Zeit erleben. Die Drehung verstärkt sich noch, und dann steigen in mir die beiden Emotionen von Wut und Ohnmacht auf. Dabei verschwindet der Deckel. Ich spüre nun nur noch den Rand der Flasche. Er weite sich nun und wird zum Rand eines Trichters. Die Empfindung der Flauheit ist nun nur noch ganz schwach vorhanden.

Bemerkung von RFR: Da die Patientin sich bewusst in die Sphäre des Hauchkörpers (Astralkörpers; suble body) – dessen Ausdruck ist der hin- und herdrehende Flaschendeckel – hat fallen lassen können, beginnen sich die Emotionen der Wut und der Hilflosigkeit zu differenzieren und zu trennen. Zum ersten Mal erlebt meine Patientin, dass diese beiden Emotionen verschieden sind, und sie wird sie danach trennen können.

Chakra manipura

Ich erkenne, dass ich vielleicht zum ersten Mal meine Wut zugelassen habe, und sie nicht durch die Emotion der Ohnmacht unterdrückt wurde; durch dieses Zulassen konnte sozusagen der „Geist aus der Flasche“ entweichen.

Bemerkung von RFR:
Das manipura gilt im Tantrismus tatsächlich als das Chakra des Gottes Agni, des Feuergottes, der auch für die triebhafte Aggression steht.

Remo sagt mir nun, dass seine Hand schon vorher in der Gegend des Solarplexus einen Trichter gespürt habe, der tief in den Körper eindringe.

Bemerkung von RFR: Über die letzten Jahrzehnte hinweg begann ich immer mehr zu spüren, dass meine Hand, in Abstand von einigen Zentimetern vom Körper der Klienten, derartige eigenartige Empfindungen wahrnimmt. Als ich dann entdeckte, dass der Körper auch über die vegetative Empfindung, die Wahrnehmung über das vegetative Nervensystem (den Archaeus des Paracelsus) erfahren werden kann, wurde mir klar, dass dies eine besondere Fähigkeit darstellt, die mir in meinem Heilerberuf sehr viel hilft.

Ich erkenne nun, dass dann, wenn ich diese körperliche Empfindung von „Gnusch“ spüre, zugleich auch der Trichter spürbar wird. Sie gehören zusammen.

Weiter erklärt mir Remo, dass der Anblick des Makramee-„Gnuschs“ in der Ausstellung eben diese Körperreaktion der Flauheit im Solarplexus ausgelöst habe. Diese Flauheit sei ein Symptom der unbewussten Vermischung von Wut und Ohnmacht. Dieses Symptom sei in der SST in das Symbol des Flaschendeckels gewandelt worden, der zwischen „Wut“ und „Ohnmacht“ hin- und herdrehte. Dann habe sich der symbolische Prozess fortgesetzt, indem die Flasche zu einem Trichter geworden sei. Der Trichter bedeute die Ohnmacht, das Ausgeliefertsein, in der man die Wut nicht leben könne.

Bemerkung von RFR: Im Tantrismus spricht man in diesem Fall tatsächlich von einem zu weit geöffneten manipura Chakra. Doch möchte ich betonen, dass meine Patientin kein Wissen über den Tantrismus besitzt.

Dieser Prozess sei so intensiv in mir konstelliert gewesen, dass auch Remos „Geisthand“ den Trichter gespürt habe. Die SST habe nun bewirkt, dass ich hätte realisieren können, dass in mir sehr viel Wut sei, die aber durch das Gefühl der Ohnmacht zugedeckt werde und daher nicht gelebt werden könne. Durch die Trennung dieser beiden Emotionen sollte ich nun aber in der Lage sein, meine Wut auszudrücken und viel bestimmter aufzutreten.

Bemerkung von RFR: Das Erlebnis dieser „Geisthand“ ist sicher etwas vom Eindrücklichsten, das ich in den letzten Jahrzehnten erfahren habe. Die Empfindung ist so real, wie jene der physischen Hand. Auf der konkreten physischen Ebene ist diese Empfindung jedoch nicht beschreibbar – vgl. die semina des Paracelsus – doch gibt es eine äusserst eindrückliche historische Beschreibung des Phänomens in den „hysterischen“ Körperempfindungen des Christian Buddenbrook in Thomas Manns Roman Buddenbrooks (vgl. dazu Schluss von Bauchhirn).

Diese Einschätzung bestätigte sich dann gleich in den folgenden Tagen. Ich konnte eine Person, die mir durch ihre widersprechenden und ausweichenden Aussagen immer wieder „entschlüpfte“, auf gewisse Aussagen festnageln und daran erinnern, dass wir gewisse Abmachungen getroffen hätten, die sie nun unbedingt einhalten müsse. Ich konnte den „Geist aus der Flasche“ befreien, da ich auf der Hauchkörperebene (subtle body) meine Wut von der Ohnmacht trennen gelernt hatte und so die Aggression in das sehr bestimmte Auftreten dieser Person gegenüber transformieren und veredeln konnte.

Bemerkung von RFR: Dieses und viele andere Erlebnisse von Symptom-Symbol-Transformationen mit meinen Patientinnen und Patienten liessen mich mit der Zeit sehen, dass das, was die Psychiatrie im abwertenden Sinn Hysterie nennt, einen ganz tiefen Sinn besitzt: Diese vegetativen Körpersymptome, die für die Psychiatrie einfach nicht existent sind und der Patient daher als Simulant betrachtet wird, können verwendet werden, um das Symptom auf der Ebene der psychophysischen Realität, durch das Symbol, auszudrücken. Dies wiederum verhilft zu Heilung.

Weiter scheint mir erwähnenswert, dass sowohl Sigmund Freud als auch C.G. Jung ihre psychiatrische Tätigkeit eben mit der Behandlung so genannter Hysteriker begonnen hatten. Dann änderten sie jedoch ihren Therapieansatz und entwickelten die Psychoanalyse, die sich völlig auf die verbale Ebene beschränkt. Der Fortschritt der Therapie besteht heute daher in der Transformation auf der nicht verbalen, das heisst, auf der vegetativen Ebene (auf der Ebene der psychophysischen Realität), wie sie in der Symptom-Symbol-Transformation stattfindet.

Schon die hermetischen Alchemisten der Renaissance hatten eine Ahnung von diesem Prozess. Daher lautete ihr Wahrspruch: In stercore invenitur – Im Dreck werden wir es finden (das „Gold“, das aus der prima materia geschaffen wurde).

 

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